A. Im beruflichen Leben.
Irr bex Fehrre.
Ein <Snbe nahm das leichte Spiel;
es naht der Ernst des Lebens.
Behalt' im Auge fest dein Ziel,
geh keinen Schritt vergebens!
1. Zum Tagewerke.
Gehe hin in Gottes Namen,
greif dein Werk mit Freuden an;
frühe säe deinen Samen;
was getan ist, ist getan.
Sieh nicht aus nach dem Entfernten;
was dir nah' liegt, mußt du tun;
säen mußt du, willst du ernten;
nur die fleiß'ge Hand wird ruhn.
Müßigstehen ist gefährlich,
heilsam unverdroßner Fleiß,
und es steht dir abends ehrlich
an der Stirn des Tages Schweiß.
Weißt du auch nicht, was geraten
oder was mißlingen mag,
folgt doch allen guten Taten
Gottes Segen für dich nach.
Geh denn hin in Gottes Namen,
greif dein Werk mit Freuden an;
frühe säe deinen Samen;
was getan ist, ist getan. 6pitta.
Lesebuch f. Fortbildungsschulen rc. 9. Auflage.
1
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3
und dem wir alle seine Wohltaten zuweilen mit schnödem Undank gelohnt
hatten. Fest und innig umschloß des Lehrers Hand die meine, und
tief blickte er in meine von Tränen überströmenden Augen, als wollte
er die Gedanken erraten, die auf dem Grunde des jugendlichen Herzens
schlummerten. Wie lange wir so Hand in Hand und Auge in Auge
einander gegenübergestanden haben, vermag ich nicht zu sagen. Erst
die tiefbewegte Stimme des Lehrers befreite mich von dem Banne, der
mich gefesselt hielt, und nie werde ich den Segenswunsch vergessen, den
er mir zurief: „Gott bewahre dir dein kindlich dankbares Gemüt und
deine reine Seele!" Mir war die Kehle in diesem Augenblicke wie
zugeschnürt, und nur ein leises, schluchzendes „Behüt' Sie Gott!" dem
Lehrer zurufend, stürmte ich leidenschaftlich erregt zur Türe hinaus.
In dieser Stimmung war es mir unmöglich, sofort nach Hause zurück-
zukehren und alle die neugierigen Fragen meiner kleinen Geschwister zu
beantworten. Ich wandte mich daher nach der entgegengesetzten Seite
und schlug einen schmalen, schattigen Pfad ein, der mich zu einem
kleinen, von grünem Laubholz umkränzten Waldsee führte. Hier am
Ufer des Sees warf ich mich auf das dichte, schwellende Moos des
Waldbodens und ließ noch einmal alle die schönen, freudvollen Tage
meiner Schulzeit vor meinem geistigen Auge vorüberziehen. Aber nicht
nur der so sorglos und friedlich verlebten Vergangenheit gedachte ich in
diesem Augenblicke, ich richtete meine Blicke auch in die noch dunkel vor
mir liegende Auknnft. M. Ebeltng, Maurerbursche in Neustrelitz.
3. Das Handwerk.
Lin Handwerk soll der Bub' nicht
treiben;
denn dazu ist er viel zu gut.
Lr kann so wunderniedlich schreiben,
ist so ein feines, junges Blut.
Nur ja kein Handwerk — Gott be-
wahrel
Das gilt ja heute nicht für fein:
„Und wenn ich mir's am Munde spare,
es muß schon etwas Beff'res sein!"
Das ist der wunde Punkt der Zeiten:
ein jeder will aufs hohe Pferd;
ein jeder will sich nobel kleiden,
doch niemand seinen Schneider ehrt.
Der Hände Arbeit kam zuschanden
der Arbeitsbluse schämt man sich;
das rächt sich noch in deutschen Landen,
das rächt sich einmal bitterlich.
Das Handwerk hat noch gold'nrn
Boden,
hält es nur mit dem Zeitgeist Schritt,
folgt es den Künsten und den Moden,
und bringt man Liebe zu ihm mit.
wenn Bildung sich und Fleiß ver-
mählen
und tut der Meister feine Pflicht,
mögt ihr es zum Beruf erwählen:
es ist das Schlechteste noch nicht.
Deutsche Töpferzeituuz.
4. Die Berufswahl.
„Für einen Bauer ist er zu schwächlich, wird halt ein Pfarrer
oder ein Schneider werden müssen!" Das war das Ergebnis der Be-
ratung, die eines Abends über mich in der Stube des Waldbauern
abgehalten wurde. Meine Mutter ging zu dem Geistlichen, Hilfe
i*
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
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27
schickte, jedoch ohne Namensunterschrift, dem Wirt in Merken-
dort zur vollen Entschädigung drei neue Kronentaler auf
der Post. Karl Stöber.
20. Wanderlieder.
a. Bleibe nicht am Loden heften.
Bleibe nicht am Boden heften,
frisch gewagt und frisch hinaus!
Kops und Arm mit heitern Kräften,
überall sind sie zu Haus.
Wo wir uns der Sonne freuen,
sind wir jeder Sorg: los;
daß wir uns in ihr zerstreuen,
darum ist die Welt so groß.
Goethe.
b. Wandern.
Berggipfel erglühen,
Waldwipfel erblühen,
vom Lenzhauch geschwellt,
Zugvogel mit Singen
erhebt seine Schwingen:
ich fahr’ in die Welt.
Mir ist zum Geleite
in lichtgoldnem Kleide
Frau Sonne bestellt;
sie wirft meinen Schatten
auf blumige Matten:
ich fahr’ in die Welt.
Mein Hutschmuck die Kose,
mein Lager im Moose,
der Himmel mein Zelt I
mag lauern und trauern
wer will, hinter Mauern:
ich fahr’ in die Welt! Victor Ton Scheffel.
c. Der frohe Wandersmann.
wem Gott will rechte Gunst erweisen,
den schickt er in die weite Welt;
dem will er seine wunder weisen
in Berg und Wald und Strom und Feld.
Die Bächlein von den Bergen springen,
die Lerchen schwirren hoch vor Lust,
was sollt' ich nicht mit ihnen singen
aus voller Kehl' und frischer Brust I
Den lieben Gott laß ich nur walten,
der Bächlein, Lerchen, Wald und Feld
und Erd' und Himmel will erhalten,
hat auch mein Sach' aufs best' bestellt!
Joseph von Eichendorfs.
d. Vergiß mir vir
Vergiß mir nie das Vaterhaus,
wo du auch sei'st im Weltgebraus I
Da, wo die erste Liebe blühte,
des Lebens Frühling dir erschien,
die reinste Freudensonne glühte,
dahin laß die Gedanken ziehn!
O halt es heilig, dies irdische Haus,
und zögst du ans Ende der Welt hinaus!
c. Gott
Gott grüße dich 1 Kein andrer Gruß
gleicht dem an Innigkeit.
Gott grüße dich I Kein andrer Gruß
paßt so zu aller Zeit.
das Vaterhaus.
Vergiß mir nie das Vaterhaus
da droben überm Weltgebraus!
Da wohnt die rechte Vatcrliebe,
ein ew'ger Frühling bricht dort an,
und fernhin schwindet alles Trübe
auf jener lichten Sonnenbahn.
O halt es heilig, dies himmlische Haus,
das hebt über Zeit und Welt hinaus!
Sprüngli.
grüße dich.
Gott grüße dich 1 wenn dieser Gruß
so recht von Herzen geht,
gilt bei dem lieben Gott der Gruß
so viel als ein Gebet.
Julius Sturm.
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Extrahierte Personennamen: Karl_Stöber Karl Goethe Joseph_von_Eichendorfs Sprüngli Julius_Sturm
5
durch, der erste Stich war mißlungen. Tief erglühend forschte ich der
Ursache nach und kam endlich darauf, daß von mir vergessen worden
war, an dem Faden einen Knoten zu machen. Ich schlang also mit
großer Mühe ein Knötlein und nähte hierauf mit Erfolg, aber auch
mit Hindernissen. Es verwandt und verdrehte sich der Zwirn, es
staute sich die Nadel am Finger, es verschob sich das Zeug und
ließ sich mit jedem Zuge hoch in die Lüfte ziehen, es riß sogar
der Faden.
Als ich ein paar Stunden so herumgenäht hatte, ohne daß mein
Meister auch nur, eine Silbe zu mir gesprochen hätte, und als ich
endlich mit dem Ärmling fertig zu sein wähnte und mit dem Auge
fragte, was nun zu beginnen sei, antwortete er: „Jetzt trenne den
Ärmling wieder auf bis auf den letzten Stich und ziehe die Fäden
sauber aus. Achtung geben mußt nur, daß du den Stoff nicht an-
schneidest." Als ich das mit Angst und Schmerz getan hatte und
die Teile des Ärmlings wieder so dalagen, wie sie mir der Meister
in die Hand gegeben hatte, ließ er von seiner Arbeit ab und sprach
zu mir folgendes: „Ich hab' nur sehen wollen, wie du die Sache
angreifst. Just nicht ungeschickt, aber den Loden muß man zwischen
Knie und Tischrand einzwängen, sonst liegt er nicht still. Später,
wenn du's einmal kannst, wird er auch wohl ohne Einzwängen still
liegen, so wie bei mir da. Auf den Finger mußt du einen Fingerhut
stecken, sonst kriegt deine Hand gerade so viele Löcher wie der Loden.
Den Zwirn mußt du mit Wachs glätten, sonst wird er fransig und
reißt. Die Stiche mußt du so machen, daß einer über dem andern
reitet, das heißt man Hinterstiche, sonst klafft die Naht. Die Teile
mußt du so zusammennähen, daß du sie nicht wieder voneinander zu
trennen brauchst, und gibt es doch einmal zu trennen, so mußt kein
saures Gesicht dazu machen; empfindsam sein leidet unser Handwerk
nicht. Jeder Ochsenknecht wird dich ausspotten und wird dich fragen,
ob du das Bügeleisen bei dir hättest, daß dich der Wind nicht fort-
trägt, und wird, solange er deiner ansichtig wird, wie ein Ziegenbock
meckern. Laß ihm die Freud' und geh still und sittsam deiner Wege.
Ein gescheiter Mensch schämt sich nicht seines ehrlichen Handwerks,
und ein dummer vermag es nicht zu lernen. Der Schneider studiert
nie aus; jede Kundschaft hat einen andern Leib, jedes Jahr hat eine
andre Mode; da heißt's nicht bloß zuschneiden und nähen, da heißt's
auch denken, mein lieber Bub'; aus einem tüchtigen Schneider ist schon
manch ein hoher Herr hervorgewachsen. Der große Feldherr Derff-
linger ist ein Schneider gewesen. Deswegen, wenn du in dir wirklich
die Neigung empfindest zu diesem Stande, so will ich dich lehren, was
ich selber kann."
Ich nickte dankend mit dem Kopfe. Beim Weggehen sagte der
Alpelhoser zu mir: „Schneider werden? Wie ist dir denn das einge-
fallen ? Alleweil in der finstern Stube sitzen; in den meisten Häusern
lassen die Leut' nicht einmal Lust zu den Fenstern herein. Wenn du
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7
Und dann, als ich nach wechselvollen Jahren
am offnen Grabe meiner Kinder stand,
da hab' ich, tief erbebend, erst erfahren,
was jene Nacht mein Mütterlein empfand.
Und Lieb' und Reue, Dank und heißes Sehnen,
ich kost' sie täglich, koste sie nicht aus.
Wohl bin ich glücklich — aber oft in Tränen
denk' ich der letzten Nacht im Vaterhaus. B. Bettmann.
6. Kal des Katers
Du wanderst in die Welt hinaus
auf dir noch fremden Wegen,
doch folgt dir aus dem stillen Haus
der treusten Liebe Segen.
an seinen Zahn.
Nimm auf die Schultern Last und Müh
mit frohem Gottvertrauen
und lerne, wirkend spät und früh,
den eignen Herd dir bauen!
Ein Ende nahm das leichte Spiel,
es naht der Ernst des Lebens;
behalt' im Auge fest dein Ziel,
geh keinen Schritt vergebens!
Gerader Weg, gerades Wort,
so will's dem Mann gebühren:
wer sich die Ehre wählt zum Hort,
den kann kein Schalk verführen.
Und nun ein letzte
und eine letzte Bii
Hall dich getreu i
zu deines Volkes
Halt hoch das Haupt, was dir auch droht,
und werde nie zum Knechte;
brich mit dem Armen gern dein Brot
und wahre seine Rechte!
Treib nicht mit heil'gen Dingen Spott
und ehre fremden Glauben
und laß dir deinen Herrn und Gott
von keinem Zweifler rauben I
Druck der Hand
fernen".Land
ltte! Julius Sturm.
7. Antritt der Lehre.
Wie gern hätte Anton eine lateinische Schule besucht!
Prediger wollte er werden, das war sein sehnlichster Wunsch.
Aber der mittellose Vater gab ihn zu einem Hutmacher nach
Braunschweig in die Lehre. Hier mußte er Holz spalten, Wasser
tragen und die Werkstatt auskehren. So unangenehm ihm nun
auch im Anfange diese Beschäftigungen waren, so fand er doch
schließlich eine Art von Vergnügen daran. Seine Phantasie
kam ihm dabei sehr zustatten. Oft war ihm die geräumige
Werkstatt mit ihren schwarzen Wänden und dem schauerlichen
Dunkel, das des Abends und Morgens nur durch den Schimmer
einiger Lampen erhellt wurde, ein Tempel, worin er diente. Des
Morgens zündete er unter den großen Kesseln das heilige, be-
lebende Feuer an, wodurch nun den Tag über alles in Arbeit
und Tätigkeit erhalten und so viele Hände beschäftigt wurden.
Er betrachtete dann dieses Geschäft wie eine Art von Amt, dem
er in seinen Augen eine gewisse Würde erteilte. Gleich hinter
der Werkstatt floß die Oker, auf der ein Vorsprung von
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Extrahierte Personennamen: B._Bettmann Ernst Julius_Sturm Anton
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einen Hexenschuß im Kreuz und liegt zu Bette; aber die Herbergsmutter
hat auch noch keinem ehrlichen Schusterknecht ein Bein ausgerisien. Kannst
fragen, wen du willst, in der Stadt, ob die alte Hambroksche nicht überall
einen Stein im Brette hat."
„So wollt' ich Euch ganz freundlich angesprochen haben, Frau
Mutter," sagte Timmo, indem er sich mit geschlossenen Hacken vor sie
hinstellte, den Hut in der Hand und den Ranzen unter dem linken Arm,
„von wegen des Handwerks, ob Ihr mich und mein Bündel heute wollet
beherbergen, mich auf der Bank und mein Bündel unter der Bank; ich
will mich halten nach Handwerks Gebrauch und Gewohnheit, wie es
einem ehrlichen Schusterknecht zukommt, mit keuschem Mund und reiner
Hand."
„Sei willkommen wegen des Handwerks!" sagte die Alte, „lege
dein Bündel unter die Bank und deinen Filz auf dem Herrn Vater seinen
Tisch; ich will den Altschaffer rufen lassen, daß er dich umschaut."
Timmo tat, wie ihm geheißen war, und ruhte sich. Als aber der
Altgesell kam, erhob er sich wieder, setzte den Hut auf, ging dem Ein-
tretenden entgegen und legte seine linke Hand auf dessen rechte Schulter.
Der Altgesell machte es ebenso und fing an:
„Hilf Gott, Fremder! — Schuster?"
„Stück davon", antwortete Timmo.
„Wo streichst du her bei dem staubigen Wetter?"
„Immer aus dem Land, das nicht mein ist."
„Kommst du geschritten oder geritten?"
„Ich komme geritten auf zwei Rappen aus eines guten Meisters
Stall. Die Meisterin hat sie mir gesattelt, die Jungfer hat sie mir ge-
zäumt, und beschlagen hab' ich sie mir selber."
„Worauf bist du ausgesandt?"
„Auf ehrbare Beförderung, Zucht und Ehrbarkeit, Handwerks Gebrauch
und Gewohnheit."
„Wann fängt selbige an?"
„Sobald ich meine Lehrjahre ehrlich und treu ausgestanden."
„Wann endigt sich selbige?"
„Wenn mir der Tod das Herz abbricht."
„Was trägst du unter deinem Hut?"
„Eine hochlöbliche Weishett."
„Was trägst du unter deiner Zunge?"
„Eine hochlöbliche Wahrheit."
„Was frommt unserem Handwerk?"
„Alles, was Gott weiß und ein Schustergeselle."
Nun nahmen sie beide den Hut ab, der Altschaffer reichte dem
Fremden die Hand und sprach: „Sei willkommen wegen des Handwerks!
Wie heißt du? Was ist dein Begehr?"
„Ich heiße Timotheus Schneck, bin aus Darmstadt gebürtig und
wollte dich gebeten haben, du wollest mir Handwerksgewohnheit wider-
fahren lassen und mich umschauen, ist es nicht hier, so ist es anderswo."
3*
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TM Hauptwörter (100): [T87: [Tag Tisch Haus Frau König Mann Gast Herr Hand Abend], T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel]]
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12. Die Ueujahrsnachl eines Unglücklichen.
Ein alter Mensch stand in der Neujahrsnacht am Fenster und
schaute verzweiflungsvoll auf zum unbeweglichen, ewig blühenden
Himmel und wieder herab auf die stille, reine, weiße Erde, worauf
jetzt niemand so freuden- und schlaflos war wie er. Der Kirchhof
lag vor ihm, sein nahes Grab war bloß vom Schnee des Alters,
nicht vom Grün der Jugend verdeckt, und er brachte nichts mit aus
dem ganzen reichen Leben, nichts mit als Irrtümer, die Brust voll
Gift und ein Alter voll Reue. Seine schönen Iugendtage wandten
sich heute als Gespenster um und zogen ihn wieder vor den Hellen
Morgen hin, wo ihn sein Vater zuerst auf den Scheideweg des Lebens
gestellt hatte, der rechts auf der Sonnenbahn der Tugend in ein
weites, ruhiges Land voll Licht, in die Heimat der Enge! bringt, und
welcher links in die Maulwurfsgänge des Lasters hinabzieht, in eine
schwarze Höhle voll heruntertropfenden Gifts, voll zischender Schlangen
und finsterer, schwüler Dünste.
Ach, die Schlangen hingen um seine Brust und die Gifttropfen
auf seiner Zunge, und er wußte nun, wo er war.
Sinnlos und mit unaussprechlichem Grame rief er zum Himmel
hinauf: „Gib mir meine Jugend wieder! Cd Vater! stelle mich
wieder auf den Scheideweg, damit ich anders wähle!"
Aber sein Vater und seine Jugend waren längst dahin. Er
sah Irrlichter auf Sümpfen tanzen und auf dem Gottesacker er-
löschen, und er sagte: „Es sind meine törichten Tage." — Er sah
einen Stern aus dem Himmel fliehen und im Falle schimmern und
auf der Erde zerrinnen. „Das bin ich", sagte sein blutendes Herz,
und die Schlangenzähne der Reue gruben sich tiefer ein in seine
Munden.
Die Einbildungskraft zeigte ihm schleichende Nachtwandler auf
den Dächern, und die Mindmühle hob ihre Arme drohend zum Zer-
schlagen auf, und im leeren Totenhause nahm eine zurückgebliebene
Larve allmählich seine Züge an.
Mitten in seiner Angst floß plötzlich die Musik für das Neujahr
vom Turme hernieder wie ferner Kirchengesang. Er wurde sanfter
bewegt, er schaute nach dem Himmel und über die weite Erde und
dachte an seine Jugendfreunde, die nun, besser und glücklicher als er,
Lehrer der Erde, Väter glücklicher Kinder und gesegnete Menschen
waren, und er sagte: „Cd ! ich könnte auch, wie ihr, diese erste Nacht
des Jahres mit trockenen Augen verschlummern, wenn ich gewollt
hätte; ach, ich hätte glücklich sein können, ihr teuern Eltern, wenn
ich eure Neujahrswünsche und Lehren erfüllt hätte!"
In seinem reuevollen Andenken an seine Iünglingszeit kam es
ihm vor, als richte sich die Larve mit seinen Zügen im Totenhause
auf; endlich wurde sie in seiner Einbildung zu einem lebendigen
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht]]
TM Hauptwörter (100): [T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T39: [Kind Vater Mutter Frau Mann Haus Jahr Eltern Sohn Knabe], T81: [Sonne Erde Tag Mond Himmel Nacht Stern Zeit Licht Stunde], T75: [Haar Auge Kopf Hand Gesicht Mann Farbe Mantel Fuß Frau]]
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42
25. Spielkarten.
Wer erzählen könnte, was diese zweiunddreißig Blätter in der
Welt schon angerichtet haben, brächte leicht eine ganze Bibliothek
zusammen. Ja, wenn's noch schwarzer Peter wäre oder so ein
„Geduldspiel," wenn man an Langeweile oder Podagra leidet —
aber das Spiel ums Geld hat schon Millionen um Haus und Hof,
um Ehre und Frieden gebracht. Außer der Schnapsflasche hat der
Teufel keine so glückliche Erfindung gemacht als die Aarten. Sie
sind eine richtige Mausefalle, die sicher arbeitet. Du könntest dir
auch einen Vers daraus machen, geneigter Leser, und dir sagen, was
Herz, Eckstein, Schippen (Laub) und das Areu; bedeuten, und
brauchtest den Aopf dir nicht besonders darüber zu zerbrechen. Das
rote per; sind die blutenden Kerzen daheim von Weib und Rind,
deren Vater die Nacht durchspielt und den Erwerb verschwendet,
am Eckstein sind Tausende zerschellt, zum schwarzen Laub
ist mancher Familienbaum zusammengewelkt, und das Areu;
kannst du auf jedes Grab des Glücks, auf die Trümmerhaufen der
Menschenherzen setzen, die den Frieden des Herzens verspielt haben.
Der alte Flattich im Schwabenland hat's verstanden, schon in
der Jugend seinen Buben, deren er etwa dreißig in Aost und Wohnung
hatte, und die meist zu kurz oder zu lang waren, um in das Gym-
nasium zu paffen, das Kartenspiel gründlich zu versalzen. Er sieht
eines Abends spät um elf Uhr noch Licht aus dem Schlaf-
zimmer leuchten, schleicht still hinauf: richtig, da sitzen die jungen
Herrlein am Tische beim Lichtstümplein und spielen Karten. „Was
tausend," sagt er, „ihr könnt Aarten spielen?" und erschreckt sahen
die Missetäter den Pfarrer an — und die Aarten fliegen unter
den Tisch. „Ach was — holet sie gleich wieder herauf! Ich will mit
euch karten, es ist ja ein Zeitvertreib." Also er setzt sich zu ihnen
hin, und die Herrlein sind seelenvergnügt, daß der alte Herr die
Sache so scherzhaft aufgefaßt hat und kein Spielverderber ist. Es
wird also gespielt und wird mittlerweile zwölf Uhr, und der Wächter
bläst die Witternacht und singt dazu etwas vom Licht ausblasen;
aber der Pfarrer steckt dagegen ein neues Licht auf, und den Herr-
lein geht das Licht im Aopfe derweilen langsam aus, denn der
Schlaf bläst es aus. Aber da hilft nichts, „wenn man einmal am
Aarten ist, wird fortgemacht, 's ist ja ein Zeitvertreib," sagte der
Pfarrer. Und es wird ein Uhr und zwei Uhr, und die Aäpfe sind
so schwer, daß sie am Halse herumbaumeln wie eine volle Sonnen-
blume am schlanken Stengel. Aber es nutzt nichts, sie müssen
weiter spielen. Der Morgenwind fängt um drei Uhr schon an zu
blasen, und den jungen Herren wird's kalt in ihrem Nachtkostüm;
aber der Pfarrer hat einen dicken Hausrock an und spürt gar nichts
von der Morgenluft. Da fangen die Herrlein an zu heulen und
bitten um Gottes willen, er solle doch aufhören, sie wollten's ihr
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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zu sehen. Ich sah mich verwundert um und war im Begriff,
auf die Straße zurückzugehen, als sich die Hintertür öffnete
und mein Vater mit einer Last von Eisen hereintrat. Jetzt
war all mein Kummer überwunden, und ich war meines Ge-
mütes Herr. Als er seine Last abgesetzt hatte, trat ich auf
ihn zu, grüßte mit dem Handwerksgruße und fragte an, ob er
einen Gesellen brauche. Ihr kommt wie gerufen, antwortete
er, ohne daß er sich Zeit nahm, mich genau anzusehen, und
wenn ihr noch ein halbes Dutzend solcher Burschen, wie ihr
seid, mitgebracht hättet, sie sollten bei mir arbeiten.
Mein Vater war in meiner Abwesenheit merklich gealtert,
sein weißes Haar hing dünn um seine Stirn und Schläfe; aber
es war in seiner Stimme und seinem ganzen Wesen eine muntere
Fröhlichkeit, die mir ganz fremd an ihm war. Nun, legt euer
Bündel ab, setzte er hinzu, und zeigt mir eure Kundschaft
vor, und wenn ihr gute Zeugnisse mitbringt, so soll euch die
Meisterin zurechtweisen. Mein Herz pochte mir bis an die Kehle
hinauf. Ich hörte jetzt, daß meine Mutter noch lebte; aber ich
konnte nicht reden, sondern packte stillschweigend meine Kund-
schaft aus und reichte sie dem Meister hin.
Mein Vater zog bedächtig seine Brille aus der Tasche,
nahm sie aus dem Futteral, setzte sie auf, schlug dann die
Kundschaft auseinander und las. Ich zitterte voll Erwartung
und Freude.
Als mein Vater meinen Namen las, schien er bestürzt;
dann sah er mich an, erkannte mich, ließ die Kundschaft auf
die Erde fallen, ging zur Hintertür hinaus und rief meine
Mutter.
Ich wollte ihm nach ; aber er kam sogleich zurück, faßte
mich bei der Hand und sagte : Willkommen, Philipp ! Gott sei
gedankt, du bist zur guten Stunde gekommen. Diese Hände
haben lange gefeiert ; aber morgen, so Gott will, wollen wir
arbeiten.
Die Mutter nahte jetzt der Tür; ich hörte ihre Fußtritte
und machte eine Bewegung, ihr entgegenzugehen. Aber mein
Vater hielt mich mit der Hand zurück, wandte sich nach meiner
Mutter und sagte, als sie hereintrat : Gott sorgt für uns, Mutter.
Die Werkstätte ist kaum geöffnet, so fragt dieser wackre Gesell
nach Arbeit vor. Mache ihm eine Kammer zurecht und gib
ihm zu essen. Ich denke, er soll uns für zwei arbeiten.
Die Meisterin nannte mich willkommen und reichte mir
die Hand. Da war ich nun meiner nicht mehr Herr. Ich zog
sie an mich, fiel dir um den Hals und sagte : Mutter, kennt ihr
mich nicht? Da schob sie mich leise zurück, sah mich an, fiel
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Extrahierte Personennamen: Philipp_!_Gott Philipp Gott
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gesucht hat, dem soll eine milde Hand geliehen werden, und weil du
den Schaden willig gelitten hast, so bist du uns nun wieder ein so
guter Amtsbruder nachher wie vorher, sollst wieder dein eigen Werk
hauen und dein Salz in Frieden essen. Sollst auch keine Auflage
zahlen und nicht die geziemende Kollation ausrichten, sondern nur
Gott Zu Lobe in die Kerzen ein Pfund Wachs geben, daß man die
Seelen damit begehen möge. Nimm deinen Platz ein in der Reihe,
wo er dir zukommt!"
„Ich tue mich ganz freundlich bedanken, Amtsmeister und liebe
Werkbrüder!" sagte Dippold, und die nächsten schüttelten ihm die
Hand.
„Nun, Brüder, die andere Bitte!" sprach Meister Gotthard.
„Draußen steht ein Böttcherknecht, der seiner selbst werden will. Er
ist echt, recht und deutsch und als eines Meisters Sohn zum Hand-
werk geboren, denn es ist mein eigener, eheleiblicher Sohn Arnold
Henneberg."
„Er ist uns willkommen!" riesen ihm die Brüder zu.
„Er befreit sich mit einer aus dem Amte," fuhr der Meister
fort, „Dippolds Tochter ist seine Braut. Er will nachtun, was jeder
andere fromme und ehrliche Amtsbruder vor ihm getan hat, wenn
ihr ihm vergönnen wollt, daß er sein Meisterstück macht."
„Wir vergönnend", antworteten die Meister.
Einer bat um das Wort und sagte: „Brüder, wer bei Gotthard
Henneberg das Handwerk gelernt hat, der versteht seine Sache;
darum, wenn es euch recht ist, vermeine ich, daß wir unserem Amts-
meister zu Dank und Ehre seinen Sohn des Meisterstücks entledigen."
„Ja, das wollen wir!" erwiderten viele, aber nicht alle.
„Halt, Brüder!" sprach Meister Gotthard, „das leide ich nicht.
Wer ein Handwerk treiben will, muß es mit der Hand wirken können
und muß es dem Amte beweisen, daß er es kann. Das soll auch
mein Sohn Arnold und soll sein Werkstück nicht zierlich und künstlich
herausstreichen, sondern gute, aufrichtige Arbeit machen nach Hand-
werksgebrauch und Gewohnheit, sonder Arglist und Gefährde. Ist es
euch recht, so laß ich ihn rufen."
„Wir vergönnend!" antworteten die Meister wieder.
„Ich habe dir zu melden, mein Sohn," sprach der Amtsmeister
zu Arnold, als dieser erschienen war, „daß die ehrbaren Meister dir
auf deine fleißige Bitte das Amt auflassen wollen, wenn du mit
deinem Meisterstück unsträfliche Arbeit lieferst, deine Auslage ge-
bührendermaßen in die Meisterbüchse zahlen und ihnen eine redliche
Kost ausrichten willst nach deiner Vermögenheit."
„Ich tue mich ganz freundlich bedanken," erwiderte Arnold,
„und will alles tun nach der ehrbaren Meister Begehr und nach
Handwerks Gebrauch und Gewohnheit."
„Gut, mein Sohn!" sagte der Amtsrichter, „so kannst du wieder
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Extrahierte Personennamen: Gotthard Arnold
Henneberg Gotthard
Henneberg Gotthard Arnold Arnold Arnold